Aufforderung zum Tätigwerden von Wasserbehörden im Sinne der Richtlinie 2004/35/EG und Urteil C-529/15 des EuGH
1. Rechtsrahmen
Das Umweltschadensgesetz (USchadG) vom 10. Mai 2007 (BGBl. I S. 666), zuletzt geändert am 4. August 2016 (BGBl. I S. 1972) in Verbindung dem Wasserhaushaltsgesetz (WHG) § 90, fanden im wasserrechtlichen Vollzug bisher kaum Beachtung. Die Richtlinie 2004/35/EG über die Umwelthaftung dient der Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden und lässt die Ansprüche auf Schadensersatz, der nach den einschlägigen internationalen Übereinkünften über die zivilrechtliche Haftung für herkömmliche Schäden zu leisten ist, unberührt. Was jedoch nicht ausschließt, dass die ermittelten fischereilichen Schäden zivilrechtlich einzufordern sind und in die Sanierungsmaßnahmen integriert werden können. Die Rechtsvorschriften basieren auf dem „Verursacherprinzip“, gemäß dem der Verursacher und nicht die Allgemeinheit (der Steuerzahler) die erforderlichen Vermeidungs- bzw. Sanierungsmaßnahmen ergreifen und die Kosten tragen muss.
Betreiber, die eine im Anhang III der Richtlinie 2004/35/EG aufgeführten gefährliche berufliche Tätigkeit ausüben, haften für die von ihnen verursachten Umweltschäden, ohne dass ein Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) nachgewiesen werden muss.
Dazu zählen gemäß Absatz 6 Wasserentnahmen und die Aufstauung von Gewässern (Wasserkraft, Kühlwasserentnahme usw.), die gemäß der Richtlinie 2000/60/EG einer vorherigen Genehmigung bedürfen. Ein Schaden gilt als saniert, sobald die Umwelt in den Ausgangszustand zurückversetzt wurde. Die Richtlinie 2004/35/EG gilt für Schädigungen der biologischen Vielfalt (geschützte Arten und natürliche Lebensräume), der Gewässer, die in den Geltungsbereich der Wasserrahmenrichtlinie fallen.
2. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes
Mit dem Grundsatzurteil vom 1. Juni 2017 EuGH Rechtssache C‑529/15 über die Auslegung der Richtlinie 2004/35/EG trifft der EuGH bedeutsame Entscheidungen.
• Diese Richtlinie gilt für Schäden, die durch Emissionen, Ereignisse oder Vorfälle verursacht wurden, die am oder nach dem 30. April 2007 stattgefunden haben.
• Nach Art. 2 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie, nach der ein Schaden, der erhebliche nachteilige Auswirkungen auf den ökologischen, chemischen oder mengenmäßigen Zustand oder das ökologische Potenzial der betreffenden Gewässer hat, nicht allein deshalb generell und ohne Weiteres vom Begriff des „Umweltschadens“ ausgenommen ist, weil er durch eine Bewilligung in Anwendung des nationalen Rechts gedeckt ist.
• Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass ein Vorhaben, wenn es negative Auswirkungen auf das Gewässer entfalten könnte, nur dann bewilligt werden kann, wenn die in Art. 4 Abs. 7 Buchst. a bis d der Richtlinie 2000/60/EG genannten Bedingungen erfüllt sind. Anderenfalls sind sie nicht von der Haftung für „Umweltschäden“ ausgenommen. Erlaubnisse und Bewilligungen, die die rechtsverbindlichen Bedingungen alle erfüllen, sind aus den Bewirtschaftungsplänen nicht zu entnehmen und auch bis auf einzelne Großvorhaben der Öffentlichkeit nicht bekannt.
• Art. 12 und 13 der Haftungsrichtlinie 2004/35 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, die es Fischereiberechtigten verwehrt, in Bezug auf einen Umweltschaden im Sinne von Art. 2 Nr. 1 Buchst. b dieser Richtlinie ein Prüfungsverfahren durchführen zu lassen, obwohl sie von diesem Schaden unmittelbar betroffen sind. Diese betroffenen Personen sollten Zugang zu Verfahren haben, in deren Rahmen Entscheidungen, Handlungen oder die Untätigkeit der zuständigen Behörden überprüft werden (Art. 13 Abs. 1 und 26. Erwägungsgrund der Umwelthaftungsrichtlinie). Hierzu ist festzustellen, dass Art. 12 der Richtlinie 2004/35 die Gruppen natürlicher und juristischer Personen bestimmt, die Bemerkungen zu Umweltschäden unterbreiten können und das Recht haben, die zuständige Behörde aufzufordern, gemäß dieser Richtlinie tätig zu werden, und ferner, dass sie von einem Gericht oder einer anderen zuständigen öffentlichen Stelle ein Prüfungsverfahren durchführen lassen können.
3. Mögliche fachliche Inhalte einer Aufforderung zur Beendigung der Untätigkeit, bzw. zum Tätigwerden von Vollzugsbehörden bei Wasserkraftanlagen aus fischereilicher Sicht
Der Beschwerdeführer fordert Umweltschädigungen gemäß RL 2004/35/EG mit Auswirkungen auf:
a) den Fischbestand,
b) die Gewässerfauna
c) der aquatischen Lebensräume
d) der Wasserqualität
bis spätestens 31.12. 2017 zu ermitteln und ihn in die Schadensermittlung gemäß EuGH Beschluss C-529/15 einzubeziehen.
Dazu werden folgende Mindestprüfungsinhalte gesehen:
Grundlage soll die Referenzfischzönose gemäß WRRL und die dem Gewässerabschnitt ohne schädigende Einflüsse (Anhang V WRRL) vorhandene Fischbiomasse und Ertragsfähigkeit sein.
Zu a) Fischbestand
• Berechnung nach Prognosemodellen oder Monitoringergebnissen der turbinenbedingten Mortalität nach Fischartengruppen.
• Schädigungen und Verluste, die bestimmt sind durch den genetisch vorhandenen Abwanderdrang und nach Erschöpfung des Schwimmleistungsvermögens, durch Anpressung und den Schutzrechen. Oft im Rechengut feststellbar.
• Verluste bei der Turbinenpassage durch extreme Druckwechsel bei driftender Brut- und Jungfischen, für die es bisher keine Schutzmaßnahmen gibt (Forum-Fischschutz).
• Schädigungen durch Wehrüberfall
• Schädigungen durch längeren Aufenthalt/Suchverhalten im Staubereich und Desorientierung im Unterwasser. Beispiel Projekt Unkelmühle; zusammen 30 % telemetrisch festgestellte Verluste durch Prädatoren bei Smolts.
• Grad der Behinderung der Aufwärtswanderung
Zu b) Gewässerfauna einschließlich Uferbewuchs, wie Schilf usw.
• Auswirkungen durch Änderungen des standortbedingten Abflussverhaltens
• Auswirkungen durch Stauhaltung
• Auswirkungen durch Trockenfall oder Änderungen der Strömungsverhältnisse unterhalb von Querbauwerken.
Zu c) Aquatische Lebensräume
Stauhaltungen:
• negative Wirkungen auf das Arteninventar und Abundanz von Makrozoobenthos und Fischen entgegen Anhang V WRRL durch Umwandlung rhithraler in lenitische Gewässerbereiche
• Wanderungsverzögerung,
• Negative Änderungen der Temperatur- und Sauerstoff-Verhältnisse
• Erhöhte Ablagerung von Feinsedimenten und Schadstoffen
• Verringerung der Abflussdynamik
• Abnahme Fließgewässerstruktur
• Unterbrechung Geschiebetransport
• Verluste durch Kürzung freifließender Gewässerabschnitte (Lebensraumverlust ab 25 m² erheblich)
• Verlust wesentlicher Teillebensräume und von Unterständen, Kieslaichplätzen
• Reduktion der Selbstreinigungskraft
Unterwasser/Ausleitungsstrecke
Rest- oder Flusskraftwerke leiten das zur Energieerzeugung genutzte Wasser in der Regel punktuell an einem Ufer unterhalb des Querbauwerkes in das Mutterbett. Die Folge ist, dass in einem erheblichen Bereich unterhalb der Wehre, nun strömungsberuhigt mit Sedimentierung behaftet sind oder fallen ganz trocken. Ohne Wasserkraftnutzung sind das besonders sauerstoffreiche Kieslaichplätze. Diese sonst höchst effektiven Reproduktionshabitate konnten einen Teil der Stauraumschädigungen kompensieren. Verhindert wird regelmäßig eine Reproduktion gewässertypischer Fischarten und Makrozoobenthos. In Natura 2000 Gebieten wird dieser Verlust bereits ab 25 m² als erheblich eingestuft und ist sogar strafbewehrt.
Zu d) Wasserqualität
• Fehlende Substraterneuerung durch Energieentzug
• Temperaturerhöhung
• Änderungen der positiv wirkenden Unterwasserfauna
• Anreicherung gewässerschädliche Stoffe
• Sauerstoffentzug durch Entgasung beim Turbinendurchgang
• Nährstoffeinträge durch die Landwirtschaft
• Eintrag schädlicher Bestandteile durch Agrarchemikalien
• Sonstige Einleitungen
4. Sanierungsmaßnahmen
Die Länder führen die Forderungen nach wasserrechtlichen Anordnungen des Wasserhaushaltsgesetzes der §§ 33 bis 35 unzureichend durch.
Dazu (Prof. Dr. Reinhardt UNI Trier 2013): „Diese rechtlich allenfalls eingeschränkt disponible übergreifende ökologische Zielsetzung des § 35 WHG steht wie schon erwähnt einer rein betriebswirtschaftlich durchgeführten Kosten-Nutzen-Analyse entgegen. Vielmehr wird der Betreiber regelmäßig von der Wasserkraftnutzung absehen müssen, wenn die Beachtung der von den Bewirtschaftungszielen vorgegebenen ökologischen Standards außer Verhältnis zu dem von der Anlage erwarteten Ertrag steht. Gesetzgeber und Behörden sind nicht verpflichtet, den Betrieb kleiner Wasserkraftanlagen durch entsprechende Ausgestaltung und Anwendung des Energie- und Wasserrechts rentabel zu halten“.
Unter diesem Gesichtspunkt ist im Verfahren zu prüfen, ob nach Abgeltung der Umweltschäden 10 Jahre rückwirkend und der Realisierung der Sanierungsmaßnahmen und weiteren Belastungen verbleibender Umweltkosten in Verbindung mit der verbindlichen Zulassungsvoraussetzung nach Art. 4 (7) a) bis d) RL 2000/60/EG überhaupt ein Weiterbetrieb möglich bzw. zulässig ist.
• Herstellung der Durchgängigkeit: „Es sind ein ausreichender Fischschutz und eine Fischabstiegsanlage für die potenziell natürliche Fischfauna gem. der Referenz-Fischzönosen für das Fließwasser im Wasserkörper zu errichten, zu betreiben und zu unterhalten, die es abwanderwilligen Fischen ermöglicht, schad- und verzögerungsfrei in das Unterwasser der Wasserkraftanlage zu gelangen.“ (VGH Baden-Württemberg Urteil vom15.12.2015, 3 S 2158/14,/BVerwG 7 B 3.16 am 26.01.2017) Diese Forderung würde auch dem Individualschutz der Fischereigesetze, dem Tierschutzgesetz und den WRRL Zielen gerecht.
• Diesen Anforderungen kommt nur das Horizontal-Leitrechen-Bypass-System nach Ebel, Gluch & Kehl sehr nahe, was mehrere Untersuchungen inzwischen belegen. Allerdings können auch damit nur bodennah driftende Kleinfische (90 % der Individuen) und Brut durch einen Sockel vor dem Eindringen in die Turbinen geschützt werden. Bei diesem System kommen Rechen mit einer lichten Stabweite ≤15 mm und horizontaler Stabausrichtung zum Einsatz, die in einem Winkel < 45° schräg angeströmt werden. Am abstromigen Ende des Rechens ist ein schachtartiger, lichtoffener, kontinuierlich beaufschlagter Bypass installiert, der allen Fischarten der Referenzzönose eine schad- und verzögerungsfreie Passage ohne Meidreaktionen in das Unterwasser und außerdem einen Geschiebetransport ermöglicht; (Bemessung nach Ebel 2013). Durchsätze von bis 100 m³/s sind derzeit realisierbar.
• An Standorten mit Ausleitungsstrecken sind in beiden Abflüssen Fischaufstiegshilfen zu errichten oder größere Gewässer benötigen beidseitig einen Fischaufstieg, um einer WRRL gerechten Aufwärtswanderung nahe zu kommen. Das Merkblatt DWA M 509 zu Fischaufstiegshilfen stellt nur den Stand der Wissenschaft zum Zeitpunkt der Erarbeitung dar und garantiert nicht automatsch den notwendigen Fischaufstieg der Fischreferenzzönose.
• Der Erfolg aller Sanierungsmaßnahmen ist durch aussagefähige Monitoringergebnisse zu belegen.
Gerhard Kemmler im Juli 2017